Die Umtopfung – wie Grünräume übersiedeln

Jeder Raum hat einen bestimmten Charakter, eine bestimmte Atmosphäre, verbreitet eine bestimmte Stimmung und hat eine ganz bestimmte Bedeutung für die Menschen, die ihn nutzen und beleben. Räume sind ebenso Bestandteil der „Lebensgemeinschaft Dorf“ wie Bäume, Wiesen und Landschaften. In der „Lebensgemeinschaft Dorf“ kommt alles vor, was für die hier Wohnenden Bedeutung hat. Die Vielfalt ist verblüffend, aber dazu später mehr.

Zunächst muss unser alter Grünraum, den wir seit 2005 belebten, hinreichend gewürdigt werden. Die erste große Bedeutung, den er für uns bekam, war unmittelbar nach der Gemeinderatswahl 2005, wo wir erstmals antraten und mit drei Mandaten etwas verblüfft aber sehr glücklich in den Perchtoldsdorfer Gemeinderat einzogen. Unvergesslich der Moment, als Edwin Rambossek, damals Obmann der Freiheitlichen, dem gerade frisch, mit überragender absoluter Mehrheit gewählten Bürgermeister Martin Schuster mitteilte, dass sie ihr Parteilokal in der Beatrixgasse zurückgeben müssen und dieser sich mir, der ich eigentlich nur zufällig dabeistand, zuwandte und fragte: „Wollts es ihr?“.

Basisdemokratisch absolut unverzeihlich rutschte mir ein vermutlich etwas zu begeistertes „Ja!“ heraus und wir hatten praktisch plötzlich ein Parteilokal, und das obwohl wir mit so etwas überhaupt nicht gerechnet hatten. Aber es hat schnell Spaß gemacht, die ehemalige Mutterberatung für unsere Bedürfnisse herzurichten.

Und wir konnten bald Eröffnung feiern 🙂

Schon ein paar Wochen später fand das erste Frauen-Frühstück (von mittlerweile 153!) mit der famosen Martha Günzl statt.

Walter Wegger übernahm schließlich die künstlerische Ausgestaltung, die unseren neuen Grünraum endgültig frisch prägte.

Dann fanden unzählige Besprechungen, Treffen, Kongresse zu unzähligen Aktionen und Projekten statt. Er war uns Lager, zentrale Anlaufstelle für Plakate und Give Aways und außerdem Archiv, wo sich über die Jahre doch einiges an Material angesammelt hat.

Der Raum kann was!

Als immer klarer wurde, dass wir unserer alten Bleibe in der Beatrixgasse für immer Ade sagen mussten[1], beschäftigen wir uns natürlich intensiv mit der Frage, wie es danach weitergehen könnte. Es war auch gar nicht so sicher, ob wir überhaupt wieder ein Lokal anmieten sollten. Aber Digital-GR und Fraktionssprecher Andreas Koller-Garber übernahm dankenswerterweise die Aufgabe, seine Fühler auszustrecken, weil er ohnehin schon in dem Thema arbeitete. Nach einigen Sondierungen und Begehungen tauchte dann plötzlich das Marzo in der Wiener Gasse 4 auf. Das Haus sollte in absehbarer Zeit verkauft werden und es fand sich nicht so einfach ein Nachmieter für das aus Pensionsgründen geschlossene Schuhgeschäft.

Plötzlich wurde zum Greifen konkret, dass wir in eine neue Location ziehen können und in einigen legendären Diskussionen wurden die Pros und Kontras erwogen, bis allen klar war, was so ein Platz für Möglichkeiten eröffnet, bzw. dass hier Möglichkeiten eröffnet werden, wo noch gar nicht absehbar ist, was daraus werden könnte. Natürlich mussten wir auch streng kalkulieren, ganz so günstig ist die Miete dort ja nicht. Aber Dank der Ersparnisse der letzten Jahre haben wir ausreichend Polster, sodass wir sogar das Aussetzen der Schulungsgelder bis Ende 2024 recht gut verkraften[2].

So ein Raum mitten im Ortskern eröffnet die Chance einen Beitrag zur Ortskernbelebung zu leisten. Die Ortskernbelebung ist schließlich eines unserer Hauptthemen der letzten Jahre, wo gf. GRin Martha Günzl schon allein mit dem Wochenmarkt Unglaubliches am Zustandebringen ist. Hier, in unserem neuen Raum, kann schon mal in Ruhe besprochen werden, was Ortskernbelebung eigentlich bedeutet und wie man das macht. Es stellt sich heraus, es ist ein ständiger, idealerweise auch stetiger Entwicklungsprozess. Der natürlich von einem bzw. mehreren Dialogen auf Augenhöhe und am Besten ohne digitale Filter getragen werden muss.

Es ist ein Raum des Gesprächs. Das hat sich sofort bei der Eröffnung gezeigt. Okay, an der Akustik müssen wir noch ein wenig arbeiten, es war streckenweise schon sehr laut, aber dafür wurde umso begeisterter geplaudert, Netzwerke gesponnen und Ideen besprochen. Im allgemeinen Brainstorming, was der Raum alles können könnte, fielen so Begriffe wie Demokratie-Reparaturwerkstatt, Demokratie-Pflegestation, Demokratie-Nothilfezentrum, Give Box für Immaterielles etc. Und es gibt auch schon etliche Ideen, was dort stattfinden könnte, wie zB Thementage oder -wochen, Reparatur-Cafes, Spieleabende, Kunstaktionen, Buchpräsentationen, Lesungen, Filmabende, Diskussionen, Beratungen. Und hinter all dem die Frage: Wozu braucht man im aufbrechenden Zeitalter des Online-Shoppings und des Arbeitens im Home Office eigentlich noch so ein Lokal? Was überhaupt zu der sehr spannenden Frage führt: was kann „Real“, was „Digital“ nicht kann? Spoiler, Achtung pathetisch: es entfaltet sich die reine Menschlichkeit. Vielleicht weil man unbewusst zu schätzen lernt und mehr auf die Dinge achtet, die einem online abgehen: die dritte Dimension, auch das Olfaktorische, die Einzigartigkeit eines jeden Menschen in ihrer oder seiner Ganzheit.

Nach zwei Wochen im anlaufenden „Regelbetrieb“ lässt sich schon ein erstes Resümee ziehen: Der Raum atmet, er düngt die Gesprächsatmosphäre, er verbreitet eine gewisse Heiterkeit. Ein großes Dankeschön geht hier an unsere famose Koordinatorin Claudia Wolfert, die die Gestaltung und die Umsetzung in ihre fleißigen Hände nahm – bis hin zum Ausmalen des spätgotischen Gewölbes. Sie schaffte es, alle Beiträge unter einen Hut zu bringen, was Anfangs gar nicht so einfach war, und wir haben jetzt eine wirklich feine Bleibe, die Wohlwollen ausstrahlt und gedeihlich auch in die Umgebung wirkt. Ein großes Dankeschön an alle, die mitgeholfen haben, dass es so gut geworden ist, besonders an Umwelt-GRin Agnes Wühr, Ernährungs-GRin Sonja Reiselhuber-Schmölzer, EU-GR Jakob Korosec und die Aktivist*innen Brigitte Hudler, Karin Dürhammer, Elisabeth Apl-Werner und Lukas Negedly. Es war und ist ein wunderbar konstruktives Miteinander, das einfach gut tut! Danke!

Apropos Umgebung! In diesem Abschnitt der Wiener Gasse werden von 10. Juni bis 20. August Bauarbeiten stattfinden. Die EVN muss die Gasleitung und die Marktgemeinde die Wasserleitung sanieren, die beide schon in die Jahre gekommen sind. Ebenso wird zur Stunde noch diskutiert, ob die EVN eine Fernwärmeleitung einbauen soll[3]. Und dann muss natürlich noch diskutiert werden, wie wir die Gelegenheit nutzen, um die Wiener Gasse klimafit zu bekommen.

Ja, Perchtoldsdorf ist Pilotgemeinde bei einer Studie der Universität für Bodenkultur Wien, Institut für Landschaftsplanung (Projektleitung), GeoSphere Austria, Kompetenzeinheit Stadtklima, Bereich Klima und Umwelt (ehem. ZAMG) und 3:0 Landschaftsarchitektur, Gachowetz Luger Zimmermann OG, Technisches Planungsbüro für Landschaftsarchitektur. Die Studie heißt „Green Adaptation“ und untersucht die Auswirkungen des Klimawandels auf Städte und Dörfer bzw. besiedeltes Gebiet allgemein. Und zwar in sehr hoher Auflösung, sodass zB Hitzeinseln ausgemacht werden können, ebenso die bei Starkregenereignissen gefährdeten Gebiete und welche Böden von Austrocknung bedroht sind. Die Conclusio daraus allgemein: es braucht mehr kühlenden Schatten, Trinkbrunnen, Ausraststationen, es braucht Böden, die Wasser aufnehmen können und es braucht einen Bewuchs, der mit den kommenden klimatischen Verhältnissen zurechtkommt.

Umgelegt auf die nun anstehende Baustelle in der Wiener Gasse zwischen Marktplatz und Franz-Josef-Straße bedeutet das, dass wir einige Bäume nach dem Schwammstadtprinzip einbauen müssen/sollen/könnten. Sie spenden Schatten, sorgen für Abkühlung und lassen im Winter trotzdem das nötige Licht durch. Der zugehörige „Schwamm“ sollte etwa 35 m3 groß sein und entsprechend viel Wasser aufnehmen, speichern und ins Grundwasser ableiten können. Rein technisch ist die Lage der Leitungen und die Versickerungsfähigkeit des gewachsenen Bodens zu berücksichtigen, beides ist aber lösbar und auch finanzierbar. Wo es schwierig wird, ist die Frage, wieviel Platz an der Oberfläche den Schwammstadtbäumen zur Verfügung gestellt werden kann/soll. Hier gibt es stark erhöhten Diskussionsbedarf und unser Vizebürgermeister und MobilitätsGR Christian Apl ist glücklich, dass wir nun auch einen würdigen Raum dafür haben und lädt jeden Donnerstag von 9 bis 12 Uhr zu einem „Red‘ ma drüber“ in die Wiener Gasse 4. Damit können wir schon mal anfangen 🙂

Ja, der Raum kann mehr und wir möchten herzlich dazu einladen, ihn auch zu nutzen – zur Pflege eines gedeihlichen Miteinanders und (analog zum Schutz und Erhalt der Biodiversität) zum Schutz und Erhalt der „Humandiversität“, um für jedes Problem die beste Lösung parat zu haben. Da steht ein unglaubliches, ungeahntes Potenzial vor uns, das sich in vielen Bereichen positiv auswirken könnte. Von der immer noch eher schwach konzeptionalisierten „Sozialen Nachhaltigkeit“ bis zur Danke-dass-es-dich-gibt-Umarmung. Perchtoldsdorf ist menschlicher!

Es gibt auch schon ein Grundgerüst für den noch zu füllenden „Stundenplan“ 🙂


[1] Die gemeindeeigene Wohnhausanlage in der Beatrixgasse 2 wird wie einige andere auch generalsaniert. Das ist ein Ergebnis der Dekarbonisierungsstrategie, die wir 2020 gestartet haben. Dadurch werden etwa 400 Tonnen CO2 im Jahr eingespart. Aus unserem alten Grünraum wird eine barrierefreie Wohnung die zeitgemäßen Standards entspricht und auch leistbar ist.

[2] Anderes Thema, siehe https://noe.gruene.at/news/schulungsgelder-in-perchtoldsdorf/

[3] Unter anderem zur Versorgung der beiden gemeindeeigenen Wohnhausanlagen in der Beatrixgasse 2 und der Wiener Gasse 32, die im Zuge der Sanierung von Gasheizung auf Fernwärme umgestellt werden sollen. Anschluss wäre über die bereits vorhandene Leitung, die vom Marktplatz in die Hochstraße läuft.

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