Liebe politische Parteien!

Ich denke, es ist an der Zeit, uns wieder einmal über die Rolle zu unterhalten, die wir Politparteien im gesellschaftlichen Gefüge einnehmen. Mit dem derzeit dominant geübten Verständnis von politischen Parteien dürften wir uns in einer veritablen Sackgasse befinden, die für alle unbefriedigend bleibt und immer frustrierender wird.

Im Zeitalter der Menschenrechte kann es doch nicht mehr zeitgemäß sein, dass sich Parteien als eine Art militärische Einheit verstehen, die einen wie auch immer definierten Feind „bekämpfen“ und sich so ständig in die Haare geraten, was unglaublich viel Energie für keine nennenswerten Entwicklungen verbraucht. Wir müssen auch im parteipolitischen Denken das Zeitalter der Verbrennungsmotoren hinter uns lassen, die neben ein wenig Fortbewegung hauptsächlich Hitze, Gestank und überflüssigen Lärm erzeugen bei einem Wirkungsgrad, der einem technisch Versierteren die Schamröte ins Gesicht treibt. Konzentrieren wir uns doch auf das wirklich Wesentliche und erhöhen wir so den Wirkungsgrad unserer Demokratie!

Wir leben in immer diverser werdenden Gesellschaften, die eine atemberaubende Vielfalt an Wirklichkeiten hervorbringen – da kann doch bitte eine einzelne Partei nicht den Anspruch stellen wollen, sie alle zu vertreten! Das ist zum Scheitern verurteilt, weil es genauso eine blinde Vermessenheit ist, wie die eigene Wirklichkeit für die einzig wahre und mögliche zu halten und sich ständig darüber zu ärgern, das die anderen etwas machen, was einem selbst für unangemessen erscheint. Dass es verschiedene Parteien gibt, ist doch schon ein hochsignifikanter Indikator dafür, dass unsere Gesellschaften reichlich divers sind.

Und wenn man davon ausgeht, dass grundsätzlich alle Menschen einfach nur möglichst frei von Leid leben wollen, kann man auch davon ausgehen, dass sie ExpertInnen ihrer eigentlichen Wirklichkeiten sind und ein Außenstehender zuerst einmal damit rechnen müsste, keine Ahnung zu haben, was in der Wirklichkeit des Anderen vorgeht. Ja, man muss grundsätzlich davon ausgehen, dass alle Parteien im Grunde das Beste wollen, auch wenn das nicht immer leicht fällt. Aber es lohnt sich, es herausfinden zu wollen…

Und dabei geht es gar nicht vorrangig darum Interessen durchzusetzen. Es geht grundlegend darum, Strukturen aufzubauen und zu pflegen, die einen Dialog erst ermöglichen. Dass Dialog gelingt, ist wiederum eine Grundvoraussetzung dafür, damit wir das, was wir hier betreiben, Demokratie nennen können.

Daraus leitet sich unmittelbar ein hervorragender Job für alle Parteien ab: es gilt den demokratischen Diskurs zu organisieren und zwar über die Grenzen des eigenen Soziotops hinaus und nicht nur anlässlich der verschiedenen Wahlen. Da gibt’s wirklich reichlich für alle Parteien zu tun und es bleibt für Ineffizienzen aller Arten eigentlich keine Zeit.

Einen demokratischen Prozess zu organisieren bedeutet, alle von einer Entscheidung möglicherweise Betroffenen rechtzeitig in den Diskurs miteinzubeziehen und die verfügbaren Informationen zu sammeln, zu bündeln und so in den Diskurs einzubringen, dass sie auch in anderen Wirklichkeiten, in fremden Soziotopen verstanden werden. Das ist auf weite Strecken einfach Übersetzungsarbeit, die irgendwer erbringen muss, wenn Demokratie gelingen soll, und sollte eigentlich Kernkompetenz aller politisch Engagierten sein.

Mit diesem Grundverständnis wird aus Konkurrenz Kooperation, aus wechselseitiger Behinderung ein Zumindest-nicht-im-Weg-herumstehen wenn nicht gar gegenseitige Hilfestellung, aus Gehässigkeiten Respekt, aus giftigem Misstrauen stärkendes Vertrauen, aus Vorurteilen Verstehen-Wollen, aus Durchsetzen Umsetzen, aus Verachtung Achtung, aus Groll Heiterkeit, aus Raubbau Nachhaltigkeit, aus Kränkung Heilung, aus Hinterhältigkeit Transparenz, aus Arglist, Lüge und Täuschung ein klarer Blick aufs Wesentliche, aus einer Haxelbeißer- und Intrigantenmentalität eine politisch-demokratische Kultur, die man guten Gewissens einem Wesen zuschreiben mag, das sich vielleicht etwas voreilig Homo sapiens sapiens genannt hat!

Angesichts der multiplen Krisenlage möchte ich doch sehr gerne vorschlagen, dass wir es bitte zumindest einmal eine Zeitlang ausprobieren. Wenn wir nicht damit zurecht kommen, können wir immer noch ins alte Hickhack zurückfallen und weiter versuchen uns gegenseitig die angeborene Würde abzusprechen, was so lächerlich ist, wie es klingt, weil letztlich völlig aussichtslos, weswegen ich mich trotzdem auch weiterhin nicht daran beteiligen werde.

Und außerdem ist es höchste Zeit diesen mentalen Shift vorzunehmen, weil es angewandte soziale Nachhaltigkeit ist – noch dazu mit Vorbildwirkung. Und gerade neben den anderen beiden Säulen einer ganzheitlichen Nachhaltigkeit, der ökologischen und der ökonomischen nämlich, ist die Säule der sozialen Nachhaltigkeit schon konzeptionell immer noch krass unterentwickelt und wir könnten mit einer Fokussierung darauf riesige Schritte in eine friedliche und gerechte Welt machen.

Ich wäre dann so weit 🙂

Danke an Hendric Stattmann für das Foto!
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5 Antworten zu Liebe politische Parteien!

  1. Heinz Melion schreibt:

    Ein netter Ansatz, im zweiten Absatz toll erklärt. Aber ob sich das umsetzen lässt angesichts zweier ehemaliger staatstragender Großparteien, für die es wichtiger ist, Erfolge politischer Mitbewerber zu verhindern als zugunsten des Gemeinwohls den einen oder anderen eigenen Standpunkt für einen Kompromiss aufzugeben?

  2. Johannes Knöbl schreibt:

    Ach ja – das hast du wirklich schön auf den Punkt gebracht. Auch angesichts der Tatsache, dass Politiker in der öffentlichen Achtung ungefähr auf dem Niveau von Zuhältern grundeln (OT P.Filzmaier), gäbe es einigen Handlungsbedarf.

    Diese Bündelung der konstruktiven Kräfte im Sinne der Demokratie würde es dringend brauchen! Und zweifellos finden sich diese Menschen auch in allen Parteien – mal mehr, mal weniger, mal lauter, mal leiser.

    Es ist nur das Problem, dass jede Partei in ihren Reihen auch diese anderen Exemplare beherbergt und verteidigt, denen der stumpfer Eigennutz geradezu aus den Augen quellt … wie können wir nur verhindern, dass die immer wieder alles kaputt machen? Wie können wir sie so entlarven und blossstellen, damit jeder ihre nackte Einfalt sieht und sie dann dorthin schickt, wo sie möglichst wenig anstellen können?

    • Christian Apl schreibt:

      naja, „stumpfer Eigennutz“ kommt praktisch in jedem vor, mal dominanter, mal latenter, weswegen er immer mitgedacht werden muss. Das ist der Ort, wo die Menschen stehen und nur von dort können sie ggf. abgeholt werden.

      Ja, es wird auch immer wieder etwas kaputt gehen – niemand überblickt alleine alle möglicherweise zu berücksichtigenden Aspekte. Vieles davon ist aber nicht irreversibel und kann somit repariert werden. Umso mehr muss das Augenmerk auf die drohenden irreversibeln Schäden gerichtet werden…

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